Sonntag, 25. Oktober 2015

Süßes oder Saures - Rapunzel und Prinz auf Halloweentour





Bild von Krisi Sz.-Pöhls - http://www.salidaswelt.com/html/kids.html
„Winnetou, bitte, bitte, verdirb uns den Spaß nicht.“ Rapunzel sieht ihren großen Bruder flehend an. Ihre Eltern haben den Beutezug nur erlaubt, wenn jemand auf sie aufpasst.
Cäsar will zwar mitkommen, ist aber leider in den Augen der Eltern als Aufpasser nicht alt genug.
„Nachtigall und ich haben keine Zeit für diesen Unfug“, meint Picasso. So richtig bei der Sache ist er nicht. Er liest nämlich nebenbei einen Brief. Nachtigall und Picasso sind die Eltern von Rapunzel. Picasso wird so genannt, weil er Maler ist und genauso herumkleckst wie sein berühmtes Vorbild und Nachtigall ist Sängerin, auch wenn ihre Lieder anders klingen als die von dem kleinen Vogel.
„Das ist kein Unfug“, protestiert Cäsar sofort.
„Ich komme mit, ich passe auf“, biete ich großzügig an. Doch dafür ernte ich nur Gelächter. Dabei habe ich daheim auch bei meinen kleinen Geschwistern Babysitter gespielt.
„Auf was soll eine kleine Ratte schon aufpassen? Außerdem machst du mehr Unsinn als Rapunzel und Cäsar zusammen“, antwortet Picasso.
So eine Gemeinheit. Ich bin eine vernünftige und verantwortungsbewusste Ratte! Schließlich stamme ich aus der königlichen Familie ab. Nur die können die Menschensprache sprechen.
Cäsar schaut zu seinen beiden Schwestern, doch die schütteln nur mit den Köpfen. „Geht nicht, wir würden ja gern mitkommen, aber wir müssen für Mathe und Chemie lernen. Wir schreiben jede Woche zwei Klassenarbeiten.“
Zum Glück kommt gerade Zorro vom Sportplatz, auf dem er mit seinen Freunden gebolzt hat.
„Wenn ich ein Kostüm bekomme, komme ich mit“, erklärt er sich bereit. Sofort rennen alle Kinder in den Keller und wühlen in einem großen Karton, der Faschingskostüme enthält. Die beiden großen Mädchen haben auf einmal Zeit und müssen gar nicht lernen.
Rapunzel findet ein Hexenkostüm, dass sie schon zu Fasching getragen hat, Cäsar zieht ein Vampirkostüm aus dem Karton. Seine Schwestern erklären sich bereit, ihn zu schminken.
Selbst Zorro entdeckt ein Fledermauskostüm. Vor Jahren von Nachtigall für Picasso gebastelt.
„Und was ziehe ich an?“, frage ich erbost. Alle haben ihren Spaß, nur um mich kümmert sich keiner.
„Du siehst so schon gruselig genug aus!“, sagt Zorro. Und alle lachen.
Beleidigt verkrieche ich mich in Rapunzels Jackentasche. Fies! Ich bin ein hübscher Prinz. Rapunzels Freunde finden mich niedlich. Jawohl!
„Süßes oder Saures geht gar nicht. Ich will euch nicht bei der Polizei abholen müssen.“ Picasso ist wirklich verärgert. Als ob er seine Kinder schon einmal bei der Polizei hätte abholen müssen! Die sind alle so vernünftig. Müssen sie auch sein, schließlich kümmern sich die beiden Eltern nicht so viel um sie. Die sind nämlich immer mit Geldverdienen beschäftigt.
„Wir machen auch nichts Schlimmes“, verspricht Cäsar sofort.
„Eigentlich ist am 31.10. Reformationstag“, meint Nachtigall. Sie schaut über den Zeitungsrand in die Runde.
„Was ist das?“, fragt Rapunzel.
„Im Jahr 1517 hat Martin Luther die Missstände der Kirche angeprangert und damit die evangelische Kirche gegründet“, erklärte Winnetou. Aber das interessiert momentan niemanden.
Die Kinder unterhalten sich über die Kostüme. „Ihr solltet nicht nur an der Tür stehen und „Süßes oder Saures“ schreien“, sagt Nachtigall.
„Und was sollen wir sonst machen?“, fragt Rapunzel.
„Wir haben früher beim Martinssingen Süßigkeiten gesammelt“, erklärt Picasso.
Nachtigall nickt. „Das finde ich auch schöner. Ich suche euch Lieder heraus, die ihr singen könnt.“
Tatsächlich hält sie Wort. Schon am nächsten Tag legt sie Zettel mit fünf verschiedenen Liedern auf den Tisch. „Lieder, mit denen ihr um eine Gabe bittet, ein Danklied hinterher und ein Lied, wenn ihr nichts erhalten habt“, erklärt sie. Dann setzt sie sich ans Klavier und spielt die Lieder und singt sie. Die Kinder üben sie brav. Ich singe auch mit, aber Nachtigall sagt sofort: „Hör auf, Prinz. Wenn du singst, bekommt ihr nicht einmal aus Mitleid etwas.“
Das ist die Höhe! Beleidigt verschwinde ich unter dem Klavier und höre mir den Gesang an. Die Familie kann wirklich singen. Es klingt gut.
Den ganzen nächsten Tag trällert Rapunzel die Lieder, langsam mag ich sie nicht mehr hören. Doch sie lacht nur, wenn ich mich beschwere.
Am Halloweentag ist Rapunzel ganz aufgeregt. Gespannt wartet sie, dass es dunkel wird und sie losziehen können. Die Hausaufgaben hat sie in Windeseile erledigt. Das sieht man ihnen auch an. So schmiert sie sonst nie.
„Wann schminkt ihr mich?“, fragt sie immer wieder ihre Schwestern.
„Wenn es Zeit wird“, erwidern die und schmeißen sie aus dem Zimmer raus, damit sie in Ruhe lernen können. Doch endlich darf sich Rapunzel umziehen und wird geschminkt. Auch bei Cäsar toben sich die beiden Mädchen aus. Hinterher sieht er wirklich gefährlich aus. Sein Gesicht ist ganz weiß. Dazu hat er große Plastikzähne im Mund und an einem Mundwinkel sind Blutstropfen aufgemalt.
Und sogar ich werde gestylt. Meine Haare werden mit Gel hochgebürstet und mit Puder weiß gefärbt. Begeistert stehe ich vor dem Spiegel und drehe mich hin und her, bis Rapunzel mich packt und auf ihre Schulter setzt.
„Zorro, bist du fertig?“ Ja, auch Zorro ist fertig und gemeinsam ziehen sie los.
„Was machen wir, wenn wir nichts bekommen?“, fragt Cäsar. „Nur ein Lied zu singen finde ich blöd.“
„Soll ich meine Verwandten holen, damit sie durch den Garten laufen? Oder in die Garage einziehen?“, biete ich an.
„Das ist gemein“, sagt Rapunzel.
Und Zorro sagt: „Untersteh dich.“ Er klingt wirklich energisch.
„Wir sollten Prinz zur Strafe singen lassen.“ Cäsar kichert und die anderen lachen ebenfalls. Warum bleibe ich eigentlich bei diesen Banausen? Ich singe wirklich gut! Viel besser als andere Ratten.
Dann klingeln sie beim ersten Nachbarn. Sie singen und bekommen tatsächlich Bonbons. Bestimmt, weil ich so schrecklich gefährlich aussehe. Zum Dank singen sie hinterher das Dankeslied.
So ziehen wir von Haus zu Haus und die Beutel werden immer schwerer. Eine Haustür wird nicht aufgemacht, dabei höre ich ganz deutlich Stimmen.
„Die stehen am Fenster“, sage ich. „Soll ich sie erschrecken? Soll ich durch den Briefschlitz klettern?“
„Nein“, sagen Rapunzel und Cäsar einstimmig.
Doch ich klettere schon an Rapunzels Arm hinunter.
„Dann musst du dort bleiben, allein kommst du nicht mehr raus“, meint Zorro und dreht sich um.
„Aber ...“, fange ich an.
„Lass sie, wenn sie Angst haben.“
„Angst? Wir tun doch nichts.“ Menschen sind wirklich komisch. Warum haben die Angst vor ein paar Kindern?
„Und was ist mit deiner Rattenplage?“, fragt Zorro.
„Die sind doch harmlos, das sind meine Verwandten.“
„Menschen sehen das anders“, meint Zorro.
Inzwischen sind wir an einem alten kleinen Haus angelangt. Ein grauhaariges Ehepaar öffnet die Tür. Sie sind so begeistert von dem Lied, dass sie tatsächlich 20 Euro geben. „Wie schön, dass ihr singt und nicht nur Drohungen schreit“, sagt der Herr.
„Das können wir nicht annehmen“, sagt Zorro.
„Doch, ihr habt uns so eine große Freude gemacht“, sagt die alte Dame.
Zum Dank singen die Kinder noch ein paar alte Schnulzen, die sie früher einmal geübt haben. Der Dame stehen die Tränen in den Augen. Vielleicht sollten wir hier ab und zu vorbeikommen und etwas vortragen. Ich werde es daheim Rapunzel vorschlagen. Schließlich kann man Nachbarn ab und zu eine Freude machen.
„Wir müssen nach Hause“, drängt Zorro. „Nachtigall und Picasso erwarten uns pünktlich.“
„Nur noch zu Frau Müller“, meint Rapunzel und springt die Treppe zum Nachbarhaus hoch.
Doch auch Frau Müller öffnet nicht. die Wohnung ist dunkel. Aber Rapunzel und Cäsar lassen sich davon nicht beeindrucken. Sie singen trotzdem so lange, bis Frau Müller schließlich die Haustür öffnet und sie hereinbittet. Sie kocht den Kindern sogar Kakao und bietet ihnen Kuchen an. Und mir stellt sie ein paar Apfelscheiben hin. Ich liebe alte Nachbarinnen!
Natürlich sind die Eltern ärgerlich, weil die Kinder zu spät kommen. Doch als Rapunzel von Frau Müller erzählt, sind Nachtigall und Picasso auch nicht mehr böse.
„Bringt ihr und den beiden anderen älteren Herrschaften doch Eintrittskarten für mein Konzert vorbei“, schlägt Nachtigall vor.
Nach dem Abendessen schütten die Kinder ihre Beutel auf den Esstisch aus und weil sie sich alle gut verstehen, teilen sie die Bonbons gerecht unter sich auf. Ich bekomme auch ein paar, die ich gleich auffresse. Hinterher ist mir ganz schlecht und mein Bauch tut weh.
„Mama, Prinz ist krank.“ Rapunzel holt aus Sorge Nachtigall. „Er braucht einen Arzt.“
Nachtigall schaut mich an. „Der hat sicher nur zu viel gefressen. Leg ihn in den Käfig, dann stellen wir die Wärmelampe daneben. Das hilft bestimmt.“
Tatsächlich, dank der Wärme entspannt sich mein Bauch. Ich schlafe ein und träume von Hexen, Vampiren und vielen, vielen Bonbons.

©Annette Paul


Krisi Sz.-Pöhls
lebt recht zurückgezogen in Oppenheim am Rhein.
Malen gehört seit ihrer Kindheit zu ihren Hobbys. Mittels Fortbildungen ist die Autodidaktin Künstlerin geworden.
Mehr von ihr auf ihrer Homepage www.salidaswelt.com
oder bei  www.zazzle.de/mbr/238764950947258943

Samstag, 14. Februar 2015

Prinz im Blumenladen




„Raja, beeil dich, sonst hat der Laden zu, bevor wir dort sind.“ Oma steht im Flur und ruft. Und bevor Rapunzel sich Gedanken machen kann, ob sie mich mitnimmt, schlüpfe ich schnell in die große Tasche ihres Kapuzenpullis.
Die Großeltern sind ganz selten zu Besuch. Und wenn sie kommen, bleiben sie selten lange. „Ihr seid uns zu anstrengend“, meint Opa immer. Ich muss ihn mal fragen, ob er mich mitnimmt. Mir ist meine Menschenfamilie nämlich auch zu anstrengend.
Ständig macht mindestens einer aus der Familie auf irgendeinem Instrument Krach. Bei zwei Erwachsenen und sechs Kindern ist das schon schlimm genug. Zudem streiten sie sich lautstark, wer das arme Klavier zuerst quälen darf. Oder wer die Tür schließen soll. Zum Schluss bleibt sie offen und alle müssen sich die Musik anhören.
Wenn die Kinder in der Schule sind, sollte es eigentlich leise sein. Irrtum. Dann kommen nämlich die Musikschüler der Mutter. Oder sie trillert so laut, dass die Polizei anrücken müsste. Sie probt nämlich für ihre Auftritte als Sängerin.
Am besten nehmen die Großeltern nicht nur mich mit, sondern auch Rapunzel. Das würde das Nesthäkchen der Familie vor einem Gehörschaden bewahren. Und ich wäre nicht so allein.
Jetzt bin ich der Großmutter dankbar, dass wir einkaufen gehen und ich dem Lärm entkomme. Eine Weile schweigen die beiden. Schließlich meint Großmutter: „Herrlich, diese Ruhe.“
Rapunzel fasst ihre Hand und hüpft neben ihr her. Mir wird ganz schlecht von dieser Schaukelei. „Morgen wird es wieder besser. Rosenrot meinte, wir müssten etwas zum Valentinstag einüben. Zorro hat sie zwar ausgelacht und gemeint, Valentinstag ist kein Feiertag, Und Winnetou meinte, es ist nur für Verliebte. Aber Rosenrot wollte unbedingt, dass wir etwas vortragen“, erzählt Rapunzel. Rosenrot, Zorro und Winnetou sind Rapunzels Geschwister. In dieser verrückten Familie haben alle verrückte Spitznamen.
„Hm, sonst macht ihr aber auch immer viel Krach“, sagt Oma.
„Dann spielt doch mit. Oma, du kannst mit mir flöten. Zu zweit macht es viel mehr Spaß.“
Oma macht ein Gesicht, als würde es ihr keine Freude machen. Deshalb hält Rapunzel lieber ihren Mund. Und dann erreichen wir auch schon den Blumenladen. Hier duftet es nach Frühling. Überall stehen Eimer mit ganz vielen Blumen. Tulpen, Osterglocken, Rosen und was weiß ich.
„Schön, die muss ich malen“, meint Rapunzel. Sie geht langsam durch den Laden und schaut sich alles genau an. Ich finde es ziemlich langweilig. Rosen habe ich schon so oft gesehen. Die sind öde. Ich schlüpfe aus dem Pulli und springe auf einen Tisch, auf dem Blumentöpfe stehen.
„Kann ich Ihnen helfen?“, fragt die Floristin. Und Oma überlegt, was alles in den Strauß soll. Ich beschließe, mir den Laden genauer anzusehen. Hinter dem Tresen mit der Kasse geht eine Treppe hinunter. Ich springe in den Keller. Hier ist es kühl. Überall stehen Blumen. In einer Ecke liegt Draht, Schere und Zange. Unter dem Tisch steht eine Kiste mit Grünzeug. Auf dem Fußboden liegt auch ganz viel grünes Zeug. Prima, die sparen sich dadurch den Teppich. Es ist fast wie im Wald. Voller Begeisterung wühle ich mich durch den grünen Schnippelkram und vergesse die Zeit.
„Prinz, Prinz, wo bist du?“, ruft Rapunzel.
„Rapunzel, wir müssen nach Hause. Es gibt gleich Essen.“ Oma klingt weit weg. Sie steht wohl schon auf der Straße.
„Prinz, komm endlich.“ Richtig verärgert klingt meine Prinzessin. Also wetze ich die Treppe hoch und rase durch den Laden. Eine junge Frau versperrt mir den Weg. Die war vorhin noch nicht da. Ich hüpfe über ihre Füße. Da fängt sie an zu schreien. „Sie haben Ungeziefer im Laden! Das melde ich.“
„Das ist kein Ungeziefer, das ist meine zahme Ratte!“, sagt Rapunzel empört und hebt mich hoch.
Die Floristin schaut sie nur böse an, hält die Tür auf und faucht: „Raus! Dich will ich hier nie wieder sehen.“
Meine Güte, warum mögen die mich nicht? Ich habe doch gar nichts getan. Ob ich noch einmal umkehren und den beiden Frauen die Meinung sagen soll?
„Rapunzel, du darfst deine Ratte nicht überall laufen lassen.“
„Sie macht doch gar nichts. Und die verkaufen auch keine Lebensmittel!“
„In den Laden gehe ich sowieso nie wieder“, erkläre ich.
Oma lacht. „Die lassen uns auch nicht mehr rein.“
Zum Glück ist Oma nicht nachtragend und petzt auch nicht.
Und Rapunzel hat so viele schöne Blumen gesehen, dass sie nach dem Abendessen noch ganz viele Tulpen und Osterglocken malt. Mal einen einzelnen Strauß und dann den Laden mit den vielen Eimern voller Blumen.
„Die verwelken wenigstens nicht“, meine ich.
Rapunzel nickt. „Und sie sind preiswerter. Die sind für die Eltern und das Bild ist für Oma und Opa.“
Ich mag es, wenn sie malt. Das schont meine Ohren.

@Annette Paul